17.06.2017 – Ich liege auf 2200 Höhenmetern und atme frische Bergluft. Die Sonne hat sich soeben verabschiedet und ist hinter den Gipfeln des Alpstein verschwunden. Mein Blick wandert umher. Auch die letzten Steinböcke sind weitergezogen. Nun bin ich alleine hier oben inmitten der ersten kleinen Schneefelder, die den Beginn des winzigen Säntis Gletschers, der Blau Schnee genannt wird, ankündigen. Eingehüllt in meinen Schlafsack, der zusätzlich mit einem Biwaksack gegen Feuchtigkeit umgeben ist, liege ich auf einer kleinen grasigen Anhöhe. Nur manchmal, wenn die Wolkenfelder etwas auflockern und die markante Säntisspitze für kurze Zeit frei geben, lässt sich die nächst gelegene Zivilisation erahnen.
Ein kühler Windstoss streift meine Nase und lässt mich frösteln. War es eine gute Idee, meine erste Biwakerfahrung in den Bergen alleine zu riskieren? Und musste es direkt neben Schneefeldern sein? Was ist, wenn es zu kalt wird und ich nicht schlafen kann? Noch wärmt meine mit heissem Wasser gefüllte Trinkflasche den Schlafsack von innen, aber was ist in ein paar Stunden? Wo sollte ich mitten in der Nacht hin? Die nächste Berghütte ist der Mesmer rund 600hm weiter unten. Oder der Säntis 300hm weiter oben. In der Dunkelheit wäre beides nicht ganz ohne. Ach, wird schon schief gehen. Winterschlafsack, Biwaksack und Isomatte sollten reichen, rede ich mir meine Bedenken aus, während meine Augen vor Erschöpfung zufallen.
Vor nicht mal vier Stunden und 1400hm tiefer war ich noch im Touristen-mit-Joggingschuhen und Bikini-Sommeroutfit-Getummel am Startpunkt meiner Tour – in Wasserauen. Dem steilen Alphaltweg folgend machte ich schnell Höhenmeter, passierte den Seealpsee, der mehr an ein Freibad erinnerte, bevor es dann endlich ruhiger wurde. Sogar der ein oder andere Steinbock passierte meinen Weg und schien mich anzuspornen. Ja, das konnte ich brauchen. Denn trotz des um ein Zelt reduzierten Gepäcks, ist das Gewicht des Rucksackes deutlich auf Schultern und Hüften zu spüren. Schritt für Schritt, Meter um Meter geht es Höher hinauf.
In der Nacht werde ich mehrmals wach, meist weil ich tatsächlich fiere. Der Sternenhimmel lenkt mich mit seinen Milliarden funkelnder Lichter ab. Die Wolken haben sich verzogen und es ist wie im Wetterbericht vorhergesagt: Sternenklar. So weit oben habe ich das Gefühl direkt unter dem Firmament zu schweben. Je länger ich in den Nachthimmel blicke, desto mehr Sterne werden es. Ein Blick in die Vergangenheit. Um aus meinem weit über die Nasenspitze zugezogenen Schlafsack mehr zu sehen, kippe ich den Kopf und erblicke nun auch das weisse Band der Milchstrasse. Vollkommener könnte es nicht sein. Dank einer Sternschnuppe darf ich sogar einen Wunsch auf Reisen schicken. Auch mein morgiges Ziel, die Säntisspitze, ist nun zu sehen. Noch überlege ich gegen 3:30 aufzustehen, um den Sonnenaufgang auf dem Säntis zu erleben. Aber ohne Spikes die Schneefelder bei Dunkelheit passieren, erscheint selbst mir zu riskant.
Gegen halb sechs lässt mich der lang herbeigesehnte Sonnenaufgang aus meinem Schlafsack klettern. Die oberste Schicht vom Biwaksack und Wanderrucksack sind mit gefrorenen Wasserperlen überzogen. Es muss unter Null Grad gehabt habt! Schnell schnappe ich mir meine Kamera und halte diesen Morgen fest. Nachts habe ich zu sehr gefroren, als dass ich riskieren wollte, den Schlafsack zu öffnen, um Bilder zu machen.
Nach einem gemütlichen Frühstück mit grandioser Aussicht gehts los. Die Schneefelder passieren klappt erstaunlich gut. Die morgendliche Sonne hat die oberste Schicht schon angetaut und sorgt dafür, dass ich selbst im T-Shirt schwitze. Den Wegweisern folgend klettere ich über Steinblöcke und an Drahtseilen entlang immer höher. Am Grad angekommen begegne ich den ersten Bergläufern, die von der Schwägalp ihr morgendliches Programm zu absolvieren scheinen. So gänzlich ohne Ballast könnten sie nicht Gegensätzlicher zu mir sein. Dafür hatte ich eine tolle Nacht unterm Himmelszelt. Um neun Uhr erreiche ich den Gipfel und bin beeindruckt von der Schönheit und dem Weitblick, der sich mir eröffnet. Ich habe es geschafft! Ich habe gleich zwei meiner Lebenswünsche erfüllt: in den Bergen biwakieren und den Säntis besteigen.
Bei einer Stärkung geniesse ich das Rundum Panorama, welches ich um diese Zeit noch fast für mich alleine habe. Zurück geht es abermals über Schneefelder, aber diesmal über die Meglisalp, gen Tal, wo mir schon hunderte sonnenhungrige Wanderer entgegen kommen. Mit einem beherzten „Sprung“ in das kühle Nass des Schwendibaches, geht ein wunderbares Abenteuer zu Ende. Es wird sicher nicht das letzte seiner Art gewesen sein. 🙂